„Uffruhr“ für die Freiheit: 500 Jahre Bauernkriege

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Der größte Volksaufstand vor der französischen Revolution, ein Versuch, Freiheit und Gerechtigkeit zu erkämpfen: Hunderttausende protestierten in den Bauernkriegen 1524/25 gegen bedrückende Verhältnisse – auch rund um Rottweil. 500 Jahre danach wird vielerorts an die Forderungen und Geschehnisse erinnert. Lesen Sie hier Teil Eins einer losen NRWZ-Reihe zu diesem Thema.

Der Begriff taugt nur halb. Weil er auf die Unterlegenen herabschaut. Weil er das siegreiche Herrschaftssystem unterschwellig bestätigt. Mit der Bezeichnung „frühbürgerliche Revolution“ setzte die DDR-Geschichtsschreibung einen anderen Akzent. Einen, der die Geschehnisse in eine Linie ruhmreicher Freiheits-Bewegungen einreihte. Freilich mit einseitiger Überhöhung der Aufständischen.  Und mit der Pointe, dass sich der „Arbeiter- und Bauernstaat“ als strahlender Abschluss dieser Revolutionen deutete.

Wie auch immer man sie benennt: Es war eine Reihe teils erbittert ausgetragener Aufstände, die unter dem Etikett „Bauernkrieg“ zusammengefasst werden. Treffender ist, wenn man hilfsweise schon bei diesem Begriff bleibt, die Mehrzahl: „Bauernkriege“. Denn es gab bei den in Revolten mündenden Unruhen  mehrere Schwerpunkte. Sie lagen vor allem im südlichen Teil des Reichs: am Oberrhein, in Oberschwaben, im Elsass, in Franken, in Thüringen – und in Württemberg. Betroffen waren auch die Schweiz und Österreich – insgesamt ungefähr ein Drittel des damaligen Reichsgebiets.

Die bäuerlichen Erhebungen waren Teil einer fiebrigen Zeit starker Umbrüche, in ihnen griffen religiöse, soziale politische Fragen eng ineinander. Das sieht man schon daran, dass in den meisten Aufstandsgebieten kurz zuvor reformatorische Prediger aufgetreten waren.

Sie brachten die von Martin Luther seit 1517 propagierte Botschaft, dass nur vertretbar sei, was sich aus der Heiligen Schrift begründen lasse. Eine Anforderung, die die Bauern nicht nur für Glaubensaussagen und die Kirche, sondern auch für die politische Ordnung in Anschlag brachten. In diesem Sinne predigten etwa Thomas Müntzer in den oberrheinischen Gebieten und Andreas Rudolff Bodenstein, genannt „Karlstadt“ in Franken.

Das Muster war überall ähnlich: Zunächst wurden Forderungen erhoben, die in aller Regel auf eine Verbesserung der bäuerlichen Lage zielten. In den meisten Fällen kam es jedoch nicht zu lösungsorientierten Verhandlungen mit den Obrigkeiten. Daraufhin formierten sich rasch bewaffnete sogenannte Bauernhaufen.

Mit gewaltsamen Attacken, meist gegen herrschaftliche Gebäude, gaben die Bauern den Weg auf, mit Argumenten für ihre Anliegen zu streiten. Vielmehr versuchten sie, den Obrigkeiten deutlich zu machen, dass es deren Ende bedeuten könnte, die Forderungen zu ignorieren.

Aber ein Ende wurde anderweitig gesetzt: Auf die Radikalisierung der Bauern folgte die Niederschlagung der Aufstände durch fürstliche Heere: unnachsichtig, brutal, vernichtend. Diese scharfe Reaktion galt freilich weniger den bäuerlichen Forderungen. Sie galt der Aufkündigung des Gehorsams gegen die Obrigkeit – gewissermaßen der Kündigung des Herrschaftsvertrags, den die Bauern versucht hatten.

Ihre Anliegen formulierten die Bauern in zahlreichen Programmen. Die größte Verbreitung fanden die „Zwölf Artikel der Bauernschaft in Schwaben“: ein wohl von dem Memminger Kürschnermeister Sebastian Lotzer auf der Grundlage anderer Beschwerdekataloge aus dem oberschwäbischen Raum Ende Februar 1525 aufgestellter Katalog – eine der ersten umfassenden Formulierungen fundamentaler Rechte in Europa. Die Zwölf Artikel werden daher immer wieder in Verbindung mit der Idee allgemeiner Menschenrechte und der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung gebracht.

Titelblatt der „Zwölf Artikel der Bauernschaft in Schwaben“. Repro: al

Die Memminger Artikel wurden als gemeinsame, überregionale Beschwerdeschrift verstanden. Sie trugen viel dazu bei, dass die regionalen Aufstände aus der Sicht der Obrigkeiten als einheitliche Bewegung, als Flächenbrand, gesehen wurden. Diese Zwölf Artikel nannten keinen Verfasser. Sondern gaben sich als gemeinschaftliche Forderungen aller Bauern aus. Dadurch, dass sie gedruckt wurden, konnten sie zu einer Klammer für die verschiedenen regionalen Aufstandsbewegungen werden. Die Zwölf Artikel erschienen in einer für damalige Verhältnisse astronomischen Auflagenhöhe von 25.000 Exemplaren – ein massenmediales Ereignis.

Die Artikel waren Anklagen gegen herrschaftlichen Zwang und Gewalt, namentlich Leibeigenschaft, willkürliche Rechtsprechung, Enteignung von Gemeindeland und Schutzlosigkeit. Dem wurde das christliche Liebesgebot als soziale Norm gegenübergestellt. Gefordert wurde ein Ende der Leibeigenschaft, weil sie der Freiheit widerspricht, die Christus allen Menschen zugesichert hat.

In kommunaler Selbstverwaltung wollten die Bauern Verantwortung übernehmen. Ausdrücklich betonten sie den Verzicht auf Gewalt. Sie setzten auf eine einvernehmliche Lösungen im Rahmen christlicher, brüderlicher Liebe und auf die Akzeptanz ihrer Menschenwürde.

Jeder Artikel wurden in Verbindung zu Bibelstellen gebracht. Damit ahmte der oder die Verfasser Luthers Argumentation auf dem Wormser Reichstag 1521 nach, wo dieser seine Thesen auf Grundlage der Heiligen Schrift verteidigt hatte. Auch bei den Artikeln hieß es, dass man die Forderungen nur zurücknehme, wenn sie durch die Heilige Schrift widerlegt werden könnten.

Der als Vorbild genommene Luther reagierte auf die Bauernaufstände zunächst nachsichtig und mahnte beide Seiten zu Frieden. Dann aber, weil er durch den Aufruhr die Rechtsordnung und die aus seiner Sicht viel wichtigere religiöse Erneuerung gefährdet sah, umso heftiger ablehnend. In der Schmähschrift „Wider die räuberischen und mörderischen Rotten der Bauern“ schrieb er 1525: „Man soll sie zerschmeißen, würgen, stechen, heimlich und öffentlich, wer da kann, wie man einen tollen Hund erschlagen muss.“

Rohe Worte, die die Fürsten nur allzu gerne für ihre Zwecke nutzten. Und die leider recht treffend beschreiben, was tausenden Bauern bei der Niederschlagung der Aufstände und den anschließenden Rache-Gräueln widerfuhr. Zwar hatten auch sie Schlösser, Burgen, Klöster und Heiligtümer zerstört oder verwüstet und Gräueltaten begangen. Aber die unbarmherzige Härte, mit der die Fürsten darauf reagierten, stand dazu in keinem Verhältnis.

Info: In Teil Zwei der Reihe richtet sich der Blick auf Ursachen und Gründe der Bauernunruhen.

Auf die Bauernkriege beziehen sich mehrere Ausstellungen. So nimmt das Landesmuseum Württemberg in Stuttgart sie zum Anlass, noch bis 4. Mai in einer Langfrist-Perspektive dem Thema  „PROTEST! Von der Wut zur Bewegung“ nachzugehen.

Vom 26. April bis 5. Oktober widmet sich dann die Große Landesausstellung im Kloster Schussenried unter dem Titel „UFFRUR! Utopie und Widerstand im Bauernkrieg 1524/25“ intensiv dem Thema.

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